Abenteuer: Time to Go
Dauer: etwa 2,5 Stunden
Ich habe über das Osterwochenende meine Eltern besucht und auf Wunsch meiner Mutter ein kleines Cthulhu-Abenteuer vorbereitet. Da ich zufällig gerade die 6. Ausgabe des CR gelesen habe und "Time to Go" entdeckt hatte, passte das wie die Faust aufs Auge.
Ich entschied, die Charaktere vorzugeben und das aus zwei Gründen: erstens sind meine Eltern nur Gelegenheitsspieler und somit keine erfahrenen Character-Player und zweitens ist meine Erfahrung, dass vorgegebene Chars viel mehr Möglichkeiten bieten, den Hintergrund oder die jeweilige Motivation in das Abenteuer mit einfließen zu lassen. Zudem führte ich für beide Charaktere Geheimnisse ein, die nicht nur der Vertiefung dienen sollten, sondern auch von den Mi-Go zweckentfremdet werden sollten. Somit möchte ich euch kurz die beiden SC's vorstellen:
Eric Danton wohnt in Brattleboro und ist Kfz-Mechaniker. Er hat Frau (Amanda) und einen Sohn (Phillip) und ein normales Leben. Er ist seit 3 Jahren trockener Alkoholiker (hiervon weiß nur seine Frau). Vor einiger Zeit hat er Amanda mit Trish, der Frau seines Arbeitskollegen und guten Freundes Andy betrogen. Gerüchte kamen im Ort auf und Amanda stellte ihn zur Rede. Aus Panik stritt Eric alles ab. Ob sie ihm geglaubt hat, weiß er nicht hundertprozentig.
Emily Moore ist die Schwester von Eric und besucht ihn für ein paar Tage. Sie ist mit Robert verheiratet. Das Paar hat keine Kinder - Robert wünscht sich welche, doch Emily blockte bislang immer ab und schob ihre Karriere als Rechtsanwältin vor. In Wahrheit ist sie unfruchtbar, was bislang niemand weiß. Zudem hat sie vor etwa einem Jahr einen Klienten dermaßen schlampig vor Gericht vertreten, dass dieser den Prozess verlor und in die soziale Armut abstieg. Sie kämpft deshalb ab und an mit Gewissensbissen.
Das Abenteuer:
Zu Beginn teilte ich Fragen für beide Spieler aus. Erwähnen werde ich hier nur die "philosophischeren" Fragen der Kategorie B, die da lauteten: Warum würdest du ein Kind in die Welt setzen? und Warum bist du hier? (Emily), sowie Wie kannst du wissen, dass dein Leben kein Traum ist? und Wie wäre es, wenn du nie geboren worden wärest? (Eric)
Beide Spieler gaben mir verdeckt Antworten hierzu und das Abenteuer begann.
Der Tunnel (Musik: tabletopaudio.com - Ice Cavern)
Eric holte Emily am Bahnhof von Brattleboro ab, der - wie ich entschied - etwas außerhalb lag. Sie fuhren mit Erics Auto durch den Black Mountain Tunnel und führten ein wenig Small Talk. Dann beginn sich eisiger Nebel zu bilden und die Temperatur sank rapide. Leichtes Unbehagen kam auf. Als die beiden ihre Atemwolken sehen konnten, gab Eric Gas und fuhr schneller. Der Motor ging aus und der Wagen kam leicht von der Fahrbahn ab und stoppte an der Tunnelwand. Beide bestanden ihren GE-Wurf und kamen ohne Verletzungen davon.
Eric stieg aus und zog Emily mit in Richtung Tunnelausgang. Überall herrschte Verwirrung, Menschen stiegen aus ihren Wagen aus und riefen um Hilfe. Es war mittlerweile bitterkalt und der Dunst so groß, dass man nur wenige Meter weit sehen konnte. Dann erschien ein Licht und ein Wesen schwebte auf die beiden zu (ich zeigte beiden hier ein stark überbeleuchtetes Bild eines Mi-Go, auf dem nur wenig zu erkennen war). Beide bestanden ihre STA-Würfe und versuchten das Wesen, das sich merkwürdig friedfertig verhielt, zu umgehen. Die beiden hörten die Stimme des Wesens in ihren Köpfen ("Kommt zu uns! Wir wollen von euch lernen!") und entschieden sich fast dazu, mit dem Wesen zu kooperieren, so dass ich die Konversation umgehend auf "Wir brauchen eure Gehirne!" erweiterte, was die Spieler dann doch dazu brachte, den Tunnel schnell zu verlassen.
Nachdem sich das Geschehen beruhigt und der Nebel verflüchtigt hatte, rannte Eric zurück und holte den Wagen. Gemeinsam fuhren die beiden zu Eric, um die Sache rasch zu vergessen. Auf dem Weg dahin überfuhren sie fast Jonah Billings, den ich über die Straße rennen ließ. Der Obdachlose wollte zum Tunnel, weil er von den dortigen Vorkommnissen etwas mitbekommen hatte und sich eine Chance auf Rettung durch die Mi-Go erhoffte. Sie riefen Jonah hinterher, doch der hielt nicht an. Dann setzten die beiden ihren Weg fort.
Zuhause bei Eric
Beide erhielten eine SMS. Emily eine von Robert, in der er sich um sie sorgte, da sie sich nicht gemeldet hatte. Eric erhielt eine von einer unbekannten Nummer mit dem Text "Wir brauchen euer Gehirn". Besorgt gingen die beiden ins Haus und wurden von Amanda und Phillip empfangen. Bei einem gemeinsamen Abendessen erzählte Eric seiner Frau von den Geschehnissen im Tunnel und beteuerte sofort, nichts getrunken zu haben! Das rief natürlich Emily auf den Plan und dann war Erics Geheimnis, ein Ex-Alkoholiker zu sein, schon aufgedeckt. Amanda begann sich Sorgen zu machen. Phillip fragte seine Tante Emily über ihren Beruf aus ("Hast du mit Essen zu tun? Papa sagt, du gehst oft zu Gericht."). Nach dem Essen ging Emily auf ihr Gästezimmer und alle vier schliefen den Schlaf der Gerechten nach so einem Tag.
Emily wurde nachts vom Klingeln ihres Handys geweckt. Dort war wieder die Stimme des Wesens aus dem Tunnel! Blitzschnell legte die Frau wieder auf und saß mit klopfendem Herzen im Bett. Sie erschrak fast, als eine Silhouette in der Tür stand - Phillip! Der Junge konnte nicht schlafen und klagte über Kopfschmerzen (ich beschloß, bereits hier den Grundstein für einen eventuell notwendigen Gehirntumor zu legen). Emily nahm in mit nach unten gab ihm ein Glas Wasser.
Am nächsten Morgen trafen sich die Erwachsenen in der Küche und tauschten sich über die Nacht aus. Emily kontaktierte noch ihren Arbeitskollegen Martin, der sich hobbymäßig mit Okkultem beschäftigte und fragte ihn um Rat (hier musste ich improvisieren). Er versprach, sich nach einem Tag zu melden. Auf einmal knackte es aus dem Wohnzimmer - der Fernseher! Amanda ging ins obere Stockwerk und rief Phillip zur Vernunft. Doch niemand saß im Wohnzimmer. Als Eric und Emily dort hingingen, sahen sie, wie der Fernseher eine Übertragung der Überwachungskamera aus dem Tunnel übertrug. Plötzlich tauchte das Licht wieder auf und eine Hand glitt ins Bild, um nach der Linse zu griffen. Hastig zog Eric den Stecker, was jedoch nichts bewirkte. "Gebt uns euer Gehirn!" - dann verschwand die Aufnahme wieder.
Als Amanda zurück kam, verlangte Eric bereits lautstark nach einem Cognac, was seine besorgten Frau natürlich nur umso mehr verunsicherte. Dass der Fernseher indes wieder normal funktionierte, tat sein Übriges. Am Ende einigte man sich darauf, dass Emily ihren Bruder mit in die Stadt nahm, um ihn abzulenken und Amanda den Kleinen zur Schule brachte.
Die Innenstadt von Brattleboro (Musik: tabletopaudio.com - Dome City Center)
Interessanterweise war es nun an Emily, ihren Bruder zu beruhigen und durch die Stadt zu führen. Sie besahen sich die Schaufenster um sich abzulenken und Eric blieb bei einem Modellbaugeschäft hängen. Plötzlich rief Martin wieder an - er würde Emily einen Link zu einem Zeitungsartikel zuschicken und sie solle sich besser auf etwas gefasst machen. Hier begannen die Mi-Go ihre Erpessungsversuche: eine Boulevard-Zeitung hatte es geschafft, Emilys damaligen Fall vor Gericht auszugraben und auszuschlachten. Ihre Karriere schien bedroht und hatte auch ca. 10 Minuten später einen Anruf ihres Bosses zur Folge. Nach dem Wochenende könne sie sich auf etwas gefasst machen. Emily steckte dies relativ gut weg, was mich dazu führte, das Tempo etwas anzuziehen.
Die LED-Laufschrift in dem Modellbauladen veränderte sich von "Neues Modell der Bismarck" hin zu "Wir brauchen euer Gehirn!", was in dem mittlerweile fast schon labilen Eric noch mehr Unbehagen auslöste. Emily beruhigte ihn und die beiden gingen weiter durch die Stadt.
Sie entschlossen sich, ein Eis essen zu gehen und kamen an der Kirche vorbei. Hier brachte ich erneut Jonah Billings ins Spiel, der dort bettelte. Die beiden erkannten ihn wieder und kamen so ins Gespräch. Als die beiden fragten, ob Jonah auch zum Tunnel wollte, brach die tragische Geschichte aus ihm heraus - Eltern begannen Selbstmord, Mi-Go hatten ihn untersucht, dann aber wieder zurück gelassen und er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass ihn die Wesen endlich mitnähmen. Emily und Eric witterten hier eine erste Spur und führten den Obdachlosen erst einmal zu einer nahe gelegenen Herberge, wo sie ihm ein Zimmer für eine Woche bezahlten. Später wollten sie ihn abholen.
Die Geschwister gingen nun weiter zur Eisdiele - erneut klingelte Emilys Handy. Es war ihr Mann Robert, dem ein Schreiben von Emilys Frauenärztin zugeschickt worden war. Sie war unfruchtbar. Seine Welt brach zusammen und als sich Emily mehr schlecht als recht erklären konnte, brach er das Telefonat ab.
Eric erhielt eine SMS von den Mi-Go, worau sich folgender Verlauf ergab:
M: Wir brauchen euer Gehirn!
E: Wozu braucht ihr es?
M: Wir wollen von euch lernen
E: Wer seid ihr und wo kommt ihr her?
M: Wir sind Mi-Go
E: Wo seid ihr?
M: Kommt zum Tunnel
E: Und wenn wir euch unsere Gehirne nicht geben?
M: Dann werden die, die euch nahe stehen, leiden.
Plötzlich rief Amanda an und war völlig aufgelöst. Sein Arbeitgeber hatte angerufen und die Kündigung angedroht - in seinem Spind auf der Arbeit war Schnaps gefunden worden. Eric beteuerte immer wieder, dass er trocken sei und kein Alkoholiker - seine Frau schien ihm nicht zu glauben. Daraufhin lief er zurück nach Hause. Emily ging indes zur Herberge, um Jonah wieder mitzunehmen, doch der war verschwunden (ich wollte ihn später wieder ins Spiel bringen). Als keiner ihr sagen konnte, wo der Penner sich aufhielt, ging auch sie zurück nach Hause.
Zuhause bei Eric & die Nachbarin:
Amanda und Eric führten eine hitzige Diskussion, was darin endete, dass Amanda völlig aufgelöst das Haus verließt und "frische Luft brauchte". Eric entschied sich zunächst dazu, ihr Zeit zu geben und sie nicht zu verfolgen. Phillip kam aus seinem Zimmer und klagte wieder über Kopfschmerzen. Da der Psycho-Terror langsam stärker wurde, entschieden sich beide, zurück zum Tunnel zu gehen und die Mi-Go zu treffen. Phillip brachte man kurzerhand bei der netten Nachbarin unter.
Hinein ins Licht (Musik: Interstellar OST - S.T.A.Y.)
Die beiden gingen in den Tunnel und sahen sich etwas ratlos um, als eines der Notruftelefone klingelte. Emily ging dran und die Wesen erklärten ihr, dass sie die Notausgangstür zu ihrer Seite benutzen sollte. Dahinter befand sich nur weißes Licht. Während Eric angsterfüllt auf der Stelle stehen blieb, tastete sich Emily langsam in den "Raum". Sie konnte jedoch keine Wände erfühlen, an denen sie sich entlangtasten konnte und blieb so doch im Türrahmen stehen. Eric hielt den Druck nicht mehr aus und rannte dann schreiend in das Licht hinein. Emily folgte ihm fluchend und versuchte, ihren Bruder zurück zu holen.
Die Fragen, die euch schon euer ganzes Leben lang beschäftigen [Anm. Verweis auf die Anfangsfragen], geistern euch wieder durch den Kopf. Überall ist nur Licht. Licht und Unendlichkeit und die immer gleichen Fragen. Ein kreischendes Geräusch an eurem Kopf und endlich Frieden. Es ist Zeit zu gehen.
Ende
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Das Ganze ging hier völlig überraschend nach nichtmal drei Stunden zu Ende. Der Spieler von Eric gab an, dass er dem Druck und den immer gleichen Zweifeln in sich selbst (auch dem Alkoholismus geschuldet) nicht weiter standhalten konnte und Erlösung suchte. Emily rannte hinterher, um ihre Familie zu schützen.
Leider konnte ich die weiteren Terrorstufen nicht weiter ausbauen. Ich führe sie der Vollständigkeit halber noch einmal auf:
1. Telefonterror
- ständige SMS und Anrufe durch die Wesen
- Einklinken in Fernsehr und Schaufenster
- Manipulieren von Autoradios etc.
2. Erpressung
- Schmutzkampagne aufgrund des verlorenen Prozesses --> Jobverlust (Emily)
- drohende Trennung von ihrem Mann aufgrund der Lüge um die Unfruchtbarkeit (Emily)
- Kündigung aufgrund vermeintlichen Alkoholkonsums am Arbeitsplatz (Eric)
- Trennung von Amanda durch das Zuspielen eines Sex-Tapes von Eric und Trish (Eric)
- Streit und Schlägerei zwischen den besten Freunden Andy und Eric aufgrund der v.g. Affäre (Eric)
- Anrufe durch die Eltern (Demenz? Abschieben in ein Heim? Enterben?) (beide)
3. Körperhorror
- Diagnose eines Gehirntumors beim kleinen Phillip
- Eric wacht sturztrunken in einer Lache seiner eigenen Kotze wieder wach und ist von nun an wieder abhängig
- Emily entwickelt eine seltene Form der Neurodermitis, bei der ihre Haut schuppig und blutig wird und ihr die Fingernägel abfallen
- eines der Elternteile fällt ins Koma
Meine Erfahrung hat gezeigt, dass die Stufe 1 die Spieler relativ kalt gelassen hat und eher genervt als verunsichert hat. Ab Stufe 2 wurde es dann schon aktuer. Ich glaube, mit der Erpressung von Emily zu beginnen, war ein Fehler, da ihre "Probleme" nicht vor Ort waren und so weniger Einfluss auf sie hatten, als die Sachen, die sie parallel managen musste (die Terroranrufe, die Labilität ihres Bruders etc.). Ich bin sehr gespannt, wie die Spieler auf Stufe 3 reagiert hätten, insbesondere auf die erneute Abhängigkeit Erics und den Tumor des Kindes.
Mein weiteres Vorgehen wäre hier gewesen:
- Spieler kommen vom Tunnel zurück
- Nachbarn sind verschwunden, Phillip ist quasi bewusstlos
- Spieler bringen Phillip ins Krankenhaus und dort wird der Tumor diagnostiziert
- Dr. Cramer wird eingeführt (die Spieler finden die Aktentasche und die beiden Dokumente - eine Liste mit 114 Namen und Geburtsdaten selber zu erstellen ist übrigens kein Zuckerschlecken )
- weiteres Vorgehen offen.
Fazit: Es hat beiden sehr gut gefallen. Das Abenteuer bestand fast ausschließlich aus Character-play. Kaum Investigation, kein einziger Kampf. Ich hätte das Geschehen gerne weiter eskalieren lassen (insb. Konflikte mit Amanda und Andy, vielleicht sogar ein Eingriffen des Sheriffs etc.). Es war natürlich deutlich kürzer als erwartet. Knackpunkt war zudem noch, dass die Spieler am Anfang fast versucht waren, mit dem Mi-Go mitzugehen. Hier fällt es schwer, das Wesen so vertrauenswürdig zu gestalten, dass die SC ein paar Worte mit ihm wechseln, aber nicht so vertrauenswürdig, dass sie sofort mit ins Licht gehen.
Freue mich auf eure Anmerkungen, Kommentare und Kritik!